Buell und die Presse

Die Buells haben es nicht leicht, wenn sie auf Pressefuzzis treffen - und der gemeine Motorradpressefuzzi hat es nicht leicht, wenn er eine Buell testen soll. Denn er hat Angst vorm Chefredakteur, der ihm den Stapel Abonnementkündigungen aus dem Hondalager unter die Nase hält, wenn er sich nicht objektiv über Honda ausgelassen hat. Was macht der Schreiberling? Er bastelt sich Bewertungslisten, excelt ein Punktesystem zusammen, enthält sich enthusiastischer Äußerungen und lässt sich möglichst nur zu üblicher Kritik hernieder (weiche Gabel, schlecht ablesbare Leerlauf, kein Kat). Am besten ist es, wenn alle getesteten Motorräder in der Schlussbemerkung eng einander liegen und dazu nur objektiv ermittelte Zahlen herangezogen werden. Also nimmt er in Kauf, dass alle Buellfahrer ihr Abo kündigen (so viele sind es ja nicht), weil er nicht in der Lage ist, das zu beschrieben, was weit jenseits aller Mainstreammoppeds an einer Buell so besonders ist.

Nur eine kleine Handvoll Journalisten hatten zu Lebzeiten der Langhubbuells den Mut und die Gabe, aus ihrer Erfahrung heraus die Lust am Motorradfahren in Worte zu bringen und das Erleben von Kurven, Motor und Geschwindigkeit mindestens gleichrangig zu bewerten. So z.B. die Jungs von MO und vom Reitwagen. Es ist immer wieder großartig, wie sie über eines der schlechtesten Motorräder auf dem Markt berichtet. Eines der schlechtesten, weil das meiste, was sich aus Multiplikationen, Additionen und Divisionen von Zentimetern, Sekunden und Gramm aus diesem Motorrad herauslesen lässt, nach marktüblichen Gesichtspunkten und nach objektiven Bewertungskriterien einfach nicht der Norm entspricht. Schneller, schräger, leichter, billiger, bunter, edler - all das kann sie nicht so wie die anderen. MO schafft es auch in der Nach-Riegsinger-Ära (ach, Streetsurfing...), fantastische Beschreibungen des Wesentlichen am Motorradfahren zu liefern und nicht ängstlich und emsig die Testberichte um die paar objektiven Messergebnisse herumzubasteln. Sie sind so herzerfrischend subjektiv! Und dann noch Berzerk vom Reitwagen, der es einfach drauf hat, den unglaublichen leiwanden Spaß, den man mit einer Buell haben kann, in Wiener Art zu Papier zu bringen.

Damit das alles nicht verloren geht, habe ich's gesammelt und mit ausgesprochen freundlicher Genehmigung von Andreas Illg vom MO heftig gekürzt und aufbereitet:


Berzerk im Reitwagen 09/1997: So fährt das Erdbeben

Vater donnerte: 'Das hat jetzt ein End mit dem Buben', während sich Mutter die Melange über die neue Seidenbluse kippte. Draußen war Sommer.

»Ein Gewitter über Wisconsin schickt uns seinen weißen Blitz und damit keine handwarmen Geschichten aufkommen, klammern wir uns an die schlichte Positionierung seiner konservativen Marktstrategen: "Ein Straßen-Ungeheuer auf dem Sprung zum Rennstrecken-Profi."

Nun der historische Teil. 1983 -Alabama: Ein denkwürdiges 750ccm Vierzylinder Zweitakt-Geschoß saugt die Gerade des Talladega Raceways mit 284 km/h auf: Der Name - eine Vision dräuenden Unheils drei Jahre vor dem Erscheinen des ersten Reitwagen: RW750. Der Erfinder, ein mäßig erfolgreicher; aber mutiger Rennfahrer, übersieht vermutlich wegen der Spätfolgen zahlloser Stürze auf das vegetative Nervensystem, daß die zum Motorrad gehörende Klasse von der Sportbehörde aus dem Rennkalender gestrichen worden. ist: Erik Buell.

Als er sich neuen Ufern seines Schaffensdranges zuwendet, erkennt Erik eine Nische. Oder sagen wir, er tut, was er für seine unausweichliche Bestimmung hält, einem höheren Auftrag folgend, den sonst niemand nachvollziehen kann. Man spricht bereits hinter vorgehaltener Hand von seiner Krankheit, als er im Freundeskreis von rund um einen großen Harley-Motor gebogenen Eisenrohren, Slicks und Serienfertigung deliriert.

Schon 1993 hilft ihm Harley mit einer Investitionsspritze aus dem Desaster. Erik segnet die Herren mit ruhigem festen Blick, die Rechte das Kruzifix schlagend, und spricht 'Laßt leichte Eisenrohre um den Harley-Motor sein und Rennreifen in Ewigkeit.'

Obwohl die frische Brise des Harley-Booms Buell stattlich die Segel zu füllen begann, blieb ein Rest von Trauer. Alle Beteuerungen, daß man mit einer Buell später als das Gewissen anbremst und einlenkt, konnten nicht über die schwerwiegende, wenn auch nur bedauerlich kurzanhaltende Belastung ihres Fahrers hinwegtäuschen, den die herannahende 600er Spitzengruppe auf ihn ausübte. Ein grausames Opfer vor billiger Massenware, unter dem sich Erik Buell krümmte wie ein Aal: Buells hatten inder herkömmlichen Semantik des Sportwesens gewissermaßen keine Leistung (und wer kann schon vom gerühmten schaltfaulen Durchzug des Harley-Blocks abbeißen, wenn sie dir für einen Bruchteil der investierten Kohle auf der Geraden den Marsch blasen?).

Harley hat mittlerweile den ganzen Buell-Laden, in dem harte Proletarier das Lightning-Bodywork mit ihren ledernen Händen bis in den frühen Tod zurechtschleifen, übernommen und läßt Erik frei herumlaufen.

Das Ergebnis ist ein Kurzstreckenbomber, der bis zu 101PS so auf den Boden rotzt, daß sich auch Herr Newton keine Sorgen machen muß. Hierbleiben davon homologierte 93PS bei rabiaten 107 Nm aus den Highflow Heads über, denen man bei Harley den bürgerlichen Namen 'Gewitter" bei einer Drehmomentkurve flach wie Goldengate über der Bucht gibt. Das heißt, die unterste Ecke aus dem ganz tiefen Harley-Keller wird durch Steuerzeiten, die die Ventile länger in den auf 10:1 zusammengequetschten Brennraum recken, aufgegeben. Aber dann kommt, das Harley bisher verboten war. Hartes Hämmern durch die Gänge unter einem frivo1en Anflug von Drehfreudigkeit, aber ohne jedes Brimborium seriöse Beschleunigung der Supersport-Klasse, die die Landschaft in einen U-Bahn Schacht verwandelt. Die anklingende Müdigkeit oberhalb der 200 km/h- Geschwindigkeitsempfehlung wird sheriffmäßig durch l200 auf den Fahrer gerichtete Kubik aus den beiden Harley-Läufen gerächt. Der weiße Blitz ist in der Beschleunigung bis 180 absolute Kompetenz der Stadt und des Slingshots am Kurvenausgang. Lesen Sie über das radikale Buell-Fahrwerk in früheren RW-Ausgaben nach und glauben Sie uns, daß Buell eine Nissin-Bremse eingebaut hat, die den Importeur, Senator Mäntele, als Höhepunkt seiner Produktpräsentation vor der interessierten Weltpresse über den Lenker riß. Der konsequente Kommentar aus der Staubwolke im Outfie1d: 'Wir werden jüngeres Publikum an den Harley-Charakter heranbringen'

Währenddessen lacht Erik wirr im Hintergrund und zeigt uns sein Liebstes: Rennkits für die Lightning, Pro Series Zündbox, offener Auspuff, höhere Racing-Fußraster, Renncockpit und seine Zweimann-Sitzbank, die ebenso wie die Einmann-Sitzbank beweist, daß Erik Buell bisher stehend Motorrad fuhr.

Wir werden Buells auf der Rennstrecke sehen.«


Berzerk im Reitwagen 10/1997: Super-Rendevous

Ducati Supermonster gegen Buell Turbo

...
»Christian Windhager öffnet entzückt ein Packerl mit US-Absender drauf: Er hat lange gewartet, immer im Dienst an der guten Sache. Christian kann sich in der Situation grundsätzlich sehr wohl fühlen - nahezu alles in seinem Leben viertaktet irgendwie, und meistens aus zwei Vau-Zylindern. Seine technische Intensivstation für Harley- und Ducati-Fahrer mitten in Wels ist ein über die Landesgrenzen hinaus bekannter Hort für Leistungssuchende. Also in dem Packerl ist jedenfalls ein Turbolader, gleichzeitig Windhagers hypothetischer Ansatz zur Reitwagen-Zweizylinder-Forschung, der ein klares Ziel zugrunde liegt: Ein pudelnackertes V-2 Motorrad so zu bauen, wie es gehört, nämlich so, dass es WIRKLICH geht (und nicht nur dumpf herumsprudelt).

Während die hypersensible Renntechnologie des BLM-Supermonsters aus jedem kleinen Winkel des Konzepts in Juweliersarbeit das Maximum holt, grenzt Windhager seine Antwort auf zwei überzeugende Dimensionen ein, die wir alle gut verstehen: Hubraum und Ladedruck. Christian Windhager zu seiner Verantwortung der restlichen Welt und der Sicherheit der Anrainer im Umfeld seiner Werkstatt gegenüber: "Der Aerocharger-Kit kommt weitgehend einbaufertig mit einem unabhängigen Schmiersystem für den 1200er Harley-Motor und entwickelt Ladedruck bis 2,6 bar. Damit ist klar, dass er auf die Buell S1 drauf muss. Der Kit-Krümmer passt und Schalldämpfer gibt's keinen, weil der Lader das Ärgste auffängt. Mit Zündbox, leistungsfähigerer Benzinpumpe, K&N-Filter und 41er Flachschiebervergaser vor Mikuni ist das Ärgste erledigt. Jetzt wo das Packerl endlich da ist - das ist wie Weihnachten!" Die amerikanische Bolt-On Philosophie (draufschrauben und losglühen) ist allgemein vor allem aus dem automobilen Bereich, aber auch von Motorradprojekten her bekannt. Die Ergebnisse ebenfalls. Windhagers erster Rennstrecken-Test der Turbo-Buell gipfelte in der Warmlaufphase unter einer einzigen 1:49ger A1-Ring-Runde in einer wirklich respektablen ÖI-Lache mit mehr oder weniger betriebsbestimmenden Motorteilen darin. Ein Kriegsschauplatz-Szenario, das leichtfertig an US-Prospekte Glaubende in verzweifelte Flucht geschlagen hätte. Windhager konstatiert nur trocken, dass man Turbo-Erfahrung sammeln müsse, und zieht sich ebenfalls stumm in seine Werkstatt zurück.

Beim nächsten Antritt, bereits der Reitwagen-Einladung zum Rendezvous mit dem Supermonster folgend, läuft die aufgeladene S1-wie ein Glöckerl, eigentlich eher wie die Bummerin: "Wir haben über einen Wiseco-Schmiedekolben die Originalverdichtung von 10:1 auf 8:1 heruntergenommen und dann die Vergaser- und Ladedruck-Abstimmung neu festgelegt".

Bei vorläufig mildem 0,8 bar Ladedruck gibt die Buell 115 PS bei 6.000 min, also ungefähr der halben Nenndrehzahl der 926er Ducati, ab. Das klingt noch nicht so besonders spektakulär, weil wir nicht beachten, dass die überbreite Drehmomentkurve des geladenen 1200ers praktisch von 2.000 fast am Maximum den Asphaltbelag in Wellen schlägt.

Der Windhager-Buell fehlt natürlich das Entwicklungsjahr der BLM-Ducati, hinter der noch dazu die ganze Ducati- Rennentwicklung aus vier Jahren steht. Windhager: "Bei maximalem Ladedruck, bis zu 2,6 bar, werden über 130 PS, aber vor Allem 182 Nm am Hinterrad auftreten. Vorläufig ist auch der Auspuff- Querschnitt noch zu klein und sicher werden wir mit anderen Nockenwellen noch einen ordentlichen Schritt machen".

Größere Sorgen hat Windhager damit, Leistung des 1200ers auf den Boden zu bringen. Die Drehmoment-Entfaltung aus tiefsten Drehzahlen macht keine Gefangenen und bringt die abenteuerliche Zugbetätigung des unter dem Motor liegenden WP-Federbeins in Bedrängnis. Mit dem Rücken zur Wand steht auch die einsame vordere Bremsscheibe an der lenkungsgedämpften 43er WP-Gabel, der Windhager eine zweite Scheibe für gepflegtes Ankern hinzufügen wird.

Derzeit wiegt die Turbo-Buell 185kg, aber ein Einsatzgewicht von 175kg steht kurz bevor, wenn auch hier der Wechsel auf Marchesini-Felgen und der verschwenderische Einsatz von Kohlefaser-Elementen an Chassis und an den Zylinderköpfen platzgegriffen hat. Der Preis des Turbo-Umbaus für alle Lebenslagen wird von Christian Windhager auf öS 95.000,- eingeschätzt, was sehr mild angesichts der Motorexplosionen klingt, wenn man sich selbst ohne Turbo-Ahnung über seinen 1200er Motor hermacht.

Ob BLM das Supermonster außer für die Reitwagen-Spinner und sich selbst für sonst noch irgendwen auf der ganzen Welt replizieren wird, ist kaum vorherzusehen. Je nach Ausgangslage (wenn man schon ein Werks-Superbike daheim hat und den Sport wegen Überalterung an den Nagel hängen muss, dann ist's ganz billig) muss man auf Preisregionen gut ausgestatteter sportlicher deutscher Mittelklasse-Limousinen gefasst sein, liegt aber in der Spaß/Prestige-Kombination knapp hinter der Formel 1. So muss man das nämlich sehen.

Dennoch hoffen wir, dass es niemals ein Supermonster 2 geben wird, weil das nämlich schon einen äußerst schlanken Fuß macht - so auf der einzigen der Welt für den Reitwagen (während sich die tollsten Motorrad-Hefteln aus der ganzen Wett um die Geschichte und die Fotos reißen). Und Gasgeben und weg samma. «


So fahren die ärgsten Vaus:
»Ein Geständnis: Es ist uns der Reis gegangen. Weniger wegen der apokalyptischen Beschleunigung und des Wahn-Hammers aus den großen Töpfen. deswegen haben wir ja das ganze angezündet, deswegen lebt und atmet der Reitwagen, deshalb bebte er dem jüngsten Tag am Pannoniaring entgegen. Die Vorsicht ist eher wirtschaftlicher Art. Sagen wir, Testfahrer 1 versucht auf Turbo-Buell vor Start und Ziel innen durchzutauchen und happt Testfahrer 2 auf Supermonster restwertfrei abräumend über den Lenker. Schaden in Höhe eines Einfamilienhauses in sauberer Stadtrandlage. Wir gestehen, das hemmt ein bisserl. Kurz und gut: Die Duc reißt ab 6000 am hohen Lenker an, dass nicht der bladeste Tester das Vorderrad in irgendeinem Gang herunter bekommt.. Kurvengeschwindigkeit, Umreißen am Eingang und anbremsen überfordern ununterbrochen die untrainierten weichen Reitwagen-Leiber. Ab 180 stemmt sich der Luftwiderstand als unbesiegbarer Feind aller nackten hart gegen die Duc und verschwendet viele der schönen teuren PS ohne den rasenden Vortrieb verkleideter, niedriger Superbikes. Trotzdem zaht das Monster auch über 200 für Naked-Verhältnisse unschlagbar mit den kurzen Renngetriebe-Salutschüssen von Kurve zu Kurve. Nix schnelleres kennen wir aus der Schöpfung ohne Verkleidung. Supermonsterfahren ist Runde für Runde ein einziger Hilferuf. Den Verschleißpreis pro Runde wird uns BLM hoffentlich immer gnädig verschweigen.
Der Vergleich mit der fahrwerksmäßig unentwickelten Buell ist ungerecht und die Duc fotzt ihre Bananenabstimmung in allen Lagen her. Dennoch überrascht die verhältnismäßig leise und tief grunzende Harley mit hartnäckig eingehaltenem unveränderten Respektabstand auf der geraden. Das Drehmoment, das das Buell-Vorderrad ab 3500/min auch in jedem gang nach oben reißt, ist mörderisch. Und die mit dem Wind kämpfende Duc bleibt trotz 40PS-Vorteil in Schlagdistanz. Viel Potential im Turbolader. Windhager arbeitet im Winter an Fahrwerk und Ladedruck. Bestens.«

Fotos: Halimöbl


Dr. mot. Udo Stünkel in der Bikerbörse 10/1997: V2-Cafe Racer?

Vergleichstest Moto Guzzi V10 Centauro und Buell S1 Lightning

Der Bericht

Prolog
Kunde, voll cool (KVC): "Zwei dicke Zylinder, so um die 90 PS und 20.000 Mark, kein Renner, kein Chopper, mehr so ’ne Art Café-Racer, haste da was für mich?"

Motorrad-Fachverkäufer (MFV), Schlips, kompetent: "Klar, ’ne BMW!"

KVC (nach kurzem Schock): "Sachma, für wie alt hälste mich denn?! Ich meinte mehr so Eiscafés und keine Seniorentanzdielen. Da soll man hingucken, das muß schocken, das muß zu meinem gefühlten Alter passen. Den Zahnarzt- und Anwalts-Schrotthaufen aus Milwaukee kannste übrigens behalten, und die desmodromischen Spaghetti-Zentrifugen aus Bologna stehen ja inzwischen auch schon an jeder Straßenecke, alles viel zu spirrelig und wartungsintensiv, schon dieses ständige Kettengeschmiere..."

MFV: "Aha!"

KVC: "...Hubraum, Hubraum, Druck aus dem Keller, und ordentlich losbrüllen muß das! Die anderen müssen vor Neid erblassen mit ihren Eierfeilen und Yoghurtbechern. (leiser) Aber so zum Kaufen, weißte, nichts zum Selberschrauben, mit Garantie und aus’m Laden, draufsetzen, losfahren, haste sowas?"

MFV (etwas überheblich): "Klar, Ham wir. Keine Kette, nirgends, luftgekühlter V2, mindestens einen Liter, coole Sitzposition, geile Optik, nur das Nötigste und nen geilen Arsch, wenn Sie wissen was ich meine. Woll’n se ’n Motor quer oder längs?"

KVC: "Ähhh..."

MFV: "Na denn komme mal mit." (Abgang, Vorhang)

Ein typisches Gespräch in deutschen Psychiaterpraxen, äh, Motorradläden. Der Kunde ist frustriert, daß der Verkäufer ihn versteht, denn sonst versteht ihn keiner, und ihm sogar noch helfen will, denn das kann eigentlich auch keiner. Im Zuge der allgemeinen Individualisierung sind einige Motorradhersteller dazu übergegangen, Maschinen zu entwickeln, für die es noch keine Klassifizierung gibt, außer vielleicht "Hyperneocaféracer".

Speziell untersucht werden hier die beiden Heilmittel Buell S1 Lightning und Moto Guzzi V10 Centauro.

Also, V2-Motoren haben beide, luftgekühlt sind sie auch, die Wurzeln der Motoren stammen aus den frühen Fünfzigern und aus Mitte der sechziger Jahre. Beiden Aggregaten sieht man ihr Konstruktionsdatum an, aber das macht die Sache interessant: Klassischer Maschinenbau zum Hingucken.

Die Eckdaten der Buell-Maschine: 45°-V, vier über Zahnräder getriebene untenliegende Nockenwellen, Primärtrieb über Triplexkette, Mehrscheibenkupplung im Ölbad, separat geschmiertes Fünfganggetriebe, Zahnriemen zum Hinterrad.

Beim Guzzi-Block von 1965 ist die ehemalige Nockenwelle jetzt eine durch Stirnräder gesteuerte Zwischenwelle, von der aus über Zahnriemen die in den Köpfen liegenden Nockenwellen angetrieben werden, die über kurze Stößel und Kipphebel jeweils vier Ventile öffnen. Hinter der gleitgelagerten Kurbelwelle sitzt die Zweischeiben-Trockenkupplung und dahinter das Fünfgang-Getriebe. Eine offenlaufende Kardanwelle bringt die Kraft ans Hinterrad.

Bei der Buell stammt nur der Motor aus der Harley Sportster, sonst kaum etwas. Die Upside-Down-Gabel ist ebenso Stand der Technik, wie das unter dem Motor liegende und auf Zug belastete Federbein. Im Gitterrohrrahmen aus Chrommolybdänstahl sind Motor und Schwinge vibrationsgedämpft aufgehängt. Die 340 mm große Einscheibenbremse mit Sechskolbensattel stammt von American Performance und verzögert besser als manche Doppelscheibenanlage, nicht bissig, aber äußerst kraftvoll. Die hintere Brembo-Bremse ist nur der Ordnung halber vorhanden. Die Instrumente stammen aus Sportster-Restbeständen, als man noch keine digitalen Kilometerzähler aus Taiwan kannte. Das einzige Harley-Davidson-Wappen findet sich ganz klein auf dem Lenkschloßdeckel.

Wie kitzelt man aus einem Sportster-Motor, der serienmäßig in Deutschland nicht einmal 60 PS hat, über ein Drittel mehr heraus? Und zwar legal?! Am auffälligsten ist der Luftfilterkasten, der bei jedem Rasenmäher als Grasfangkorb durchgehen würde. Darin verbirgt sich eine "Helmholtz-Resonanzkammer". Insgesamt trägt dieses Schwingungssystem jedoch mehr zur Lärmreduzierung als zur Leistungssteigerung bei. Diesen Effekt erzielt man mehr mit dem riesigen Auspufftopf unter dem Motorrad, der vom Ford Transit zu stammen scheint. Verschlungene Edelstahlkrümmer leiten die Abgase in diesen Bottich, aus dem sie vor dem Hinterrad ungebremst aber dezent gedämpft entweichen. In Verbindung mit überarbeiteten Zylinderköpfen, höher verdichtenden Kolben und etwas schärferen Nocken mobilisiert die um zwei Kilogramm erleichterte Kurbelwelle mühelos 90 PS und ein Drehmoment von streckenweise über 100 Nm.

Die Moto Guzzi Centauro basiert technisch weitgehend auf der Daytona, der Chrommolybdän-Rechteckträger-Rahmen findet auch in der 1100 Sport Verwendung. Insgesamt ist die Maschine etwas tiefergelegt. Der Motor wurde genau wie bei der Daytona RS leicht überarbeitet, die Kraft wird jetzt über Carillo-Pleuel übertragen und der Ölfilter ist ohne Demontage der Ölwanne zugänglich, zusätzlich ist ein Ölkühler montiert - zum einen ist das Mode, zum anderen produzieren 95 PS genügend Abwärme. Die Kardanreaktionen werden durch eine Parallelogramm-Schwinge eliminiert.

Für den Komfort beider Maschinen sorgt die niederländische Firma White Power. Vorn führt jeweils eine 40 mm Upside-Down-Telegabel mit einstellbarer Zug- und Druckstufe, hinten sind WP-Stoßdämpfer mit ebenfalls getrennt einstellbaren Dämpfungsraten eingebaut, jedoch mit dem Unterschied, daß der direkt angelenkte Centauro-Dämpfer halbwegs funktioniert, das auf Zug belastete Buell-Gerät jedoch viel zu hart ist. Auch bei geringster Dämpfung und Federvorspannung scheint er für amerikanische Doppelwhopper konzipiert zu sein. Die passen aber nicht auf die trialmäßige Sitzbank. Die Platzauswahl des Buell-Fahrers wird stark vorgegeben, ein Rücksitz ist zwar angedeutet, aber vom TÜV verboten worden. Die hinteren Fußrastenhalter sind überflüssig.

Die neue italienische Linie erinnert schon eher an einen Pferdesattel (Centauro = Zentaur, vorne Mensch, hinten Pferd). Sitzt man auf der Buell amerikanisch sportlich, d.h. Füße leicht nach hinten, Oberkörper gerade, so nimmt man auf dem straffen breiten Guzzi-Sofa eher eine Toilettenhaltung ein, für die die Lenkstange etwas zu weit vorne angebrach ist. Längere Menschen können sich erst richtig entfalten, wenn die Rücksitzabdeckung mit der Steiß-Stütze demontiert ist. Potentielle Beifahrer sitzen auf dem Pferdearsch der Guzzi so weit hinten, daß sie stark verlustgefährdet sind.

Die Leistungs-Charaktere der beiden Maschinen würden besser zur jeweils anderen passen: Die wuchtige, fast barocke Centauro, deren Designer nicht ganz verleugnen kann, daß er sonst Roller baut, trägt mit dem Daytona-Motor ein Sport-Aggregat, das zwar ein breites nutzbares Drehzahlband besitzt, aber recht rauh und hart läuft, alte Guzzi-Sportler würden "kernig" sagen.

Die athletische Lightning entfaltet zwar auch mächtig Kraft, sobald man die Drosselklappe öffnet, doch geht es hier recht sanft vonstatten. Ohne Aufsehen, Brüllerei und Vibrationen zieht die Maschine nach vorne, und das in jedem Drehzahlbereich. Der langhubige Sportstermotor schöpft seine Kraft aus dem Hubraum und dem Keller. Ab 2000 U/min ist nutzbare Leistung vorhanden. Mit einem kleinen Einbruch bei 3500 U/min geht es bis 6000 Touren vehement voran. In welchem Gang man fährt, ist eigentlich egal, der Drehzahlmesser ist überflüssig, wenn man am Anschlag ist, wird eben der nächste Gang genommen. Die Maschine ist so lang übersetzt, daß der letzte Gang praktisch als Overdrive fungiert, bei 4000/min läuft die Buell fast 160 km/h.

Die Centauro braucht etwas mehr Anlauf, unter 3000 U/min schüttelt es, bis 4500 Touren geht es bequem voran, aber dann setzt der Motor alles daran, aus dem Kardan einen Korkenzieher zu drehen. Die Maschine lebt und klingt den gesetzlichen Umständen entsprechend richtig sportlich.

Die 212 kg leichte und mit 142 cm Radstand kurze Buell läßt sich spielerisch um jede Kurve winkeln, mit den montierten Metzler ME Z1-Reifen ist es fast unmöglich, die Maschine aus der Ruhe zu bringen. Die aufrechte Sitzposition trägt sicher dazu bei. Die 5 cm längere und 30 kg schwerere Guzzi ist etwas behäbiger. Der Handlingkurs paßt nicht zu der bequemen Sitzposition, trotzdem läßt auch sie sich mit der breiten Stange mühelos überall hinlenken. Beide Maschinen laufen vorne und hinten auf 17 Zoll-Reifen, vorne tragen beide die Größe 120/70 ZR 17, hinten beträgt die Reifenbreite der Guzzi 160 und die der Buell 170 mm.

Nach dem Unentschieden in der Spaßwertung kommt jetzt der Praxistest. Soziustauglichkeit: siehe oben, Gepäckzuladung: abhaken, Verbrauch: Der 40er Keihin-Vergaser der Buell nimmt nicht viel mehr als 5 Liter, die beiden Düsen der Weber-Marelli-Einspritzanlage der Guzzi pumpen einen Liter mehr in den Motor, um den gleichen Fahrspaß zu erzeugen. Warum man bei Moto Guzzi trotz Einspritzung keine Katalysatoren verbaut, weiß niemand. Wartungsfreundlich sind beide Maschinen. Muß der Buell-Fahrer selten einmal die Spannung des Zahnriemens kontrollieren, kann der Guzzi-Pilot seine beiden Kreuzgelenke abschmieren. Vergasersynchronisation entfällt: die Buell hat nur einen, die Guzzi gar keinen. Die Zündung ist selbstverständlich eletronisch, nur bei den Ventilen gibt es Unterschiede: der Sportster-Motor hat Hydrostößel und kann entsprechend vergessen werden, die 8 Ventile des Guzzi-Aggregates sind sehr gut zugänglich und leicht einstellbar. Hier müssen auch die Steuerriemen regelmäßig begutachtet werden.

Die Ausstattung: Schalter sind italienischer Standard, die Kontroll-Funzeln kann man nur nachts erkennen, dafür sind die weißen Instrumente sehenswert. Hinter das kleine Schild an der Buell kann man gut eine Landkarte stecken, der Öltank ist nach dem Abnehmen des Sitzes zugänglich, Staufächer und Bordwerkzeug sucht man vergeblich, das ist wegen der verwendeten Zoll-Schrauben ärgerlich. Unter der Centauro-Bank kommt ganz brauchbares Werkzeug und ein Stahlseil als Helmhalter zum Vorschein, Stauraum sucht man vergeblich.

Fazit: Wem nach dem Motto "wer auffallen will, muß sich quälen" die Optik der Maschine wichtiger ist, als eine vernünftige Sitzposition, der hat dennoch die Qual der Wahl: Handzahmer Streetfighter oder Kraft-Roller mit Frontmotor. Keine der Maschinen hat einen glatten Charakter, die Buell ist ein moderner Café-Racer mit antiquarischem, aber haltbarem Motor, die Centauro ein barockes Schiff mit Hochleistungstriebwerk - ziemlich unvernünftig sind sie beide. Die Centauro zeigt mit dem bequemen Sitz und dem großen Tank noch eine gewisse Ernsthaftigkeit, man hätte bloß im Design etwas mehr auf Funktionalität setzen sollen. Im Buell-Baukasten-System gibt es neben der Lightning gegen einen Aufpreis von 2000 Mark, also zum Centauro-Preis, die S 3, mit Tourentank, Tourensitz und sogar noch einer Verkleidung. Ein "etwas anderes Motorrad" ist auch sie.

Es beriet Sie Dr. mot. Udo Stünkel, der auch die Lichtbilder fertigte


Christoph Driesen im Motorradfahrer 6/1998: Inferno auf Rädern

Ein Test ohne Testergebnis

»Genie und Wahnsinn liegen eng beieinander. Sie treffen mit lautem Poltern hart aufeinander, wenn rohe Harley-Power zwischen Erik Buells Gitterstäbe gepresst wird. Nach der White Lightning wird niemand mehr glauben, dass die Weißen immer die Guten sind.

Kurz nachdem Erik Buell die bunte Pille geschluckt hatte, setzte die Wirkung ein. Schlagartig und unerwartet heftig. Völlig entkoppelt vom irdischen Dasein, ohne Kontrolle über den Speichelfluss, der aus dem Mundwinkel rann, hatte er die lebensbestimmende Vision: ein radikaler Asphaltbomber, der die Plastikverhüllten nur so aufsaugte, zog über die Lande und hinterließ Panik und Entsetzen bei rechtschaffenen, unbescholtenen Bürgern. Ein Zweirad, wie es keiner je zuvor gesehen hatte. Der eisengewordene Leibhaftige. Das Inferno auf Rädern.

Erik Buell erwachte in einem komplett weißgefliesten Raum. Die Farbe gefiel ihm. Von ganz weit weg drangen Wortfetzen an sein Ohr: »Nie wieder richtig zurechnungsfähig" und »Hoffnung zwecklos« hörte er, aber er konnte den Sinn nicht verstehen. Er musste hier raus, schnell weg, denn es galt, eine große Idee zu verwirklichen.

Als harmlos eingestuft, konnte er bald schon zurück in seine gewohnte Umgebung und machte sich umgehend an die Arbeit. Freunde wendeten sich befremdet von ihm ab, erfuhren sie von seiner Mission, nur Nachbarn sahen ihn gelegentlich große metallene Gegenstände in diesen Schuppen schleppen, in dem Tag und Nacht das Licht nicht erlosch und gelegentlich ein wirres Lachen zu hören war.

Erik war aufrechter Amerikaner, einer, der Stars-and-Stripes-Unterhosentrug. Rennfahrer war er mal gewesen und Ingenieur in den Diensten von Harley-Davidson. Er wusste zwar nichts mehr davon, aber Motorräder hatte er schon früher zusammengeschraubt. In seinem jetzigen Zustand war die Wahl des 1200er Milwaukee-Twins eher als intuitiv zu bezeichnen. Einige lichte Momente reichten aber, um den Eisenhaufen für seine Zwecke zu entfremden. Den Gitterrohrkäfig bog er selbst, wer die restlichen Teile anschleppte, ist nicht genau überliefert.

Irgendwann stand das Geschöpf auf eigenen Rädern. Erik drückte den Starterknopf, und kurze Zeit später, um genau zu sein eine Zehntelsekunde später, war East Troy, Wisconsin, so ziemlich der ungemütlichste Ort der westlichen Hemisphäre.

Vietnam-Veteranen verfielen wieder in ihr Trauma. Verstörte Kindergesichter verbargen sich unter den Rockzipfeln kreischender Mütter. Bebend und stampfend stand sie da draußen, entließ den Aufschrei gequälten Metalls aus einem gedrungenen, hässlichen Rohr unterhalb des Triebwerks. Eine Ausgeburt der Hölle. Noch lange nachdem Erik Buell unter diabolischem Geschrei hinaus auf den Highway geritten war, war das dumpfe Dröhnen zu hören. Ruhe sollte in East Troy nie wieder einkehren.

Heute aalt sich Erik Buell neben silikongepolsterten Pamela-Anderson-Klonen an seinem Pool. Er ist Chef der in East Troy ansässigen Buell Motorcycle Company, die zu Harley-Davidson gehört und Besessene auf der ganzen Welt mit Brutalo-Eisen beliefert.

Die radikalste ist die White Lightning, ein Sondermodell, entstanden in der Erinnerung an weißgeflieste Aufwachsäle. Alle Buell-typischen Komponenten sind vertreten, aber der Blitz ist noch böser, noch stärker als die anderen. Der Thunderstorm-Motor - was für ein Name - drückt 88 PS ab und stempelt 105 Newtonmeter in den Asphalt. Nicht mehr und nicht weniger, und wenn er das tut, dann gibt es Pflastermalerei in zeitlosem, monochromem Schwarz. Das Wissen um 3,3 Sekunden bis zum Erreichen der Hunderter-Marke sorgt an roten Ampeln für Standhaftigkeit unter den entschlossenen Blicken der Lenkstummelgreifer. Im Stand beutelt der V2 dich noch von links nach rechts, wird angegast, verpuffen seine Vibrationen irgendwo in den Aufhängungen. Schwingungsentkoppelt ist der Motor gelagert, muss er auch, sonst reißt es das Rahmengeflecht in seine Bestandteile und dich vom Einzelsitz.

Hör' auf den grimmig brodelnden Twin oder lausch' den pulsierenden Druckwellen im monströsen Luftfilterkasten. Schlürf' aus den omnipräsenten Drehmomentfluten und lass' den Zahnriemen das Hinterrad peitschen. Hau' die Buell in den Begrenzer, oder lass' dich vom ellenlangen Fünften einfach nur treiben. Egal was du tust, sie hat dich schon gefressen und wird dich nicht mehr loslassen. Fahr' raus aufs Land, pack' den breiten Lenker ganz fest und versuch sie zu beherrschen. Extreme Geometrie lenkt von selbst, durch bloßen Blickkontakt, ich weiß, aber das Heck wird immer unbezwingbar bleiben. Auch für dich. Es will dich loswerden dich aus dem Sattel katapultieren und in die Randbegrünung schleudern, aber du musst jetzt stark sein, dann erlebst du den Kurvenausgang als geläuterter Mensch.

Du brauchst nicht am Federbein herumzuspielen, es wird nicht weicher. Hier findest du keine passende Abstimmung, keinen Komfort und auch nicht immer Bodenhaftung. Lass' das Gas stehen und sprich einen Psalm oder fahr' zurück dahin, wo der Untergrund topfeben ist. Auf einen Salzsee zum Beispiel, wenn er in deiner Nähe liegt. Zupf leicht am Bremshebel, und es drückt dir die Eingeweide heraus; wählst du das Fußpedal, bekommt das Nichts eine neue Dimension.

Buellriding ist das letzte wahre Abenteuer dieses Planeten. Knaben reifen zu Männern in Bruchteilen von Sekunden. Beseelt vom Gedanken sie zu beugen, ihr deinen eigenen Willen aufzuzwingen, wirst auch du niemals aufgeben, sie nie wieder hergeben. Wer den irren Blick sieht, wenn deine rauen Hände über die Ice-White-Pearl-Lackierung fahren. weiß Bescheid. Du bist ein hoffnungsloser Fall.

Genau wie Erik Buell, der schon seit längerem nicht mehr am Pool gesichtet wurde. Hinter vorgehaltener Hand berichten Nachbarn im Flüsterton bereits von lauten Hammerschlägen aus der Buellschen Garage. Hat er etwa wieder Pillen geschluckt?«


Jo Soppa im MO 4/2001: Starke Zweizylinder

Vergleichstest BMW R1150R, Voxan Café Racer, Buell X1, Guzzi V11 Sport

»Der ganze Erlebniswert explosionsgetriebenen Fortbewegung liegt in den großvolumingen Brennkammern mächtiger Twins verborgen. Grobkörnige Antriebe, die Spuren in den Seelen der Fahrer hinterlassen und nicht frotteeweich im vielzylindrigen Weichspülgang ihr Jahrhunderte altes Arbeitsprinzip bis zur Unkenntlichkeit verhackstücken.«

»Es gibt zwei Kaufanreize, die schnurgerade für die Buell sprechen. Der eine ist ganz simpel: Ihr Caterpillar-Charme haut einen um. Der zweite kitzelt den verhinderten Freizeitkonstrukteur. Oder haben Sie nicht auch schon von einem Motorrad geträumt, das mit einer prickelnden Mixtur aus Vorkriegs-Twin Marke JAP und dreispeichigen Kohlefaserrädern die Sinne betört? In diese Ecke passt auch die Buell ganz gut.«

»Tolle Zeiten. Die weltweit grassierende Motorradlust fokusiert sich neuerdings wieder mehr auf Maschinen klassischer Prägung. Mechanik zum Anschauen, zum Fahren und zum Erleben ist nach all den mit reichlich Kunststoff zutapezierten Motorrädern der letzten Jahre gefragter denn je. Es geht um Motor und Rad, wobei vor allem erstgenannter gefälligst zu sehen sein sollte. Schließlich ist die Art des Antriebs beim Motorrad Teil des charakterbildenden Gesamtarrangements. Anders als beim Auto ist beim Motorrad eine stimulierende Präsenz der arbeitenden Mechanik geschätzter Bestandteil der Unterhaltung. Der Klang, die feinen Nebengeräusche und die Vibrationen über das gesamte Drehzahlspektrum sind das Salz in der Suppe und unterscheiden den ebenso biederen wie langweiligen Allerweltsmotor vom durchaus mit piesackenden Eigenheiten aufwartenden Antrieb für Kenner.«

»Wer sein Motorradabenteuer also derart geschmackssicher zu gestalten trachtet, der wird zwangsweise seine Nase an Schaufenstern plattdrücken, wo hinter kaltem Glas Motorräder aus Europa oder Amerika auf den Wissenden warten.«

»Erster Unterschied: Die Herrschaften in Buell-Verkaufslokalen heißen nicht Händler sondern Dealer. Der feilgebotene Stoff soll möglichst rein und von nachhaltiger Wirkung sein. Die meisten Buell-Dealer führen auch Harley-Davidson im Programm. Oder besser gesagt, sie führen neben Harley auch Buell. Dieses Auch teilt sich mancherorts durch eine gewisse Ratlosigkeit mit. Der Händler, sprich Dealer, kann mit dem bunten Buell-Hund, den man ihm da ins gechoppte Nest gelegt hat, offenbar nicht immer etwas anfangen. Was verständlich ist, denn mit dem ungewöhnlichen Ami-Krad drängt auf einmal eine neue Kundschaft ins Geschäft. Keine Leute mehr in rot-schwarz karierten Holzfällerhemden und mit Geldbeutel an der Sicherungskette, sondern mitunter sogar Volk mit buntem Dainese-Knieschleiferleder.«

»Dieses Volk spitzt auf die einmalige Mischung aus langhubigem Oldtimer-Schüttelhuber im modernen Fahrwerk. Wobei der Begriff "modern" in Zusammenhang mit dem Fahrwerk in erster Linie auf die gewählte Reifendimension und die zeitgemäß kompakt arrangierte Geometrie zu sehen ist. Näher kommt man der Sache, wenn gleich unter "modern" noch das Wort "eigenartig" dazu geschrieben wird. Denn Erik Buell, seines Zeichens tief vom Motorradbazillus durchdrungenes Mastermind hinter dem von Harley kontrollierten Projekt, ließ sich einiges einfallen, um den Schüttler aus Milwaukee zu zähmen.«

»Das gelang mit einem quasi zweigeteilten Fahrwerk. Einen Teil bilden dabei Vorderrad, Gabel und Stahlrohr-Brückenrahmen. Der andere Teil besteht aus dem bekannten 1200er Motorblock der Sportster, der fix daran verblockten Schwinge aus Leichtmetallguss und selbstverständlich dem Hinterrad. Verbunden sind beide Baugruppen über Gummielemente. Die Motorvibrationen bleiben auf diese Weise im Motor-Hinterradverbund hängen und werden in Richtung Rahmen samt Sitzbank und Lenker wirkungsvoll abgedämpft. Ein vergleichbares System wandte vor vielen Jahren die Firma Norton beim Paralleltwin Typ Commando an.«

»Nun ist Gummi zwar ein prima Dämpfer aber auch eine recht nachgiebige Angelegenheit. Damit also das Buell-Vorderrad mit dem weich angekoppelten Hinterradverbund keinen Tango tanzen kann, halten präzise in Kugelgelenken geführte Stahlstangen beide Fahrwerksbestandteile in der Spur. Der Motor kann sich also vertikal ausschütteln, wird aber horizontal im Zaum gehalten. Buell nennt als Lebensdauer für die hart durchgeknautschten Gummielemente rund 50 000 Kilometer. Meistens werden sie beim ersten Zahnriemenwechsel mit erneuert."

"Womit wir schon bei der nächsten Buell-Eigenheit wären: Zahnriemenantrieb. An sich so etwas wie ein Kardan light, weil ungemein wartungsarm, ungemein unkompliziert und ungemein leicht obendrein. In der Buell funktioniert diese Technik selbst bei äußerst ungünstigen geometrischen Verhältnissen von Schwingendrehpunkt und Ritzeldrehpunkt.«

Tiefe Frequenzen überbrücken die Gummipuffer und treffen mit ihren 16 Herz auf resonanzwillige Anbauteile wie Gabel und Spiegel. Dann wirkt die Buell wie ein Schwergewichtsboxer, der sich zwischen den Pausengongs beinhüpfend die herunterbaumelnden Muckiarme ausschüttelt. Fitmachen für den nächsten Schlagabtausch.«

»Was aus Fahrersicht sportlich zu nehmen ist. Denn mit einem alles verzeihenden Wieselfahrwerk sollte der Buell-Käufer nicht rechnen. Durch den recht hoch eingebauten Motorblock gibt sich die Lightning kopflastig. Das verleiht ihr eine klar führbare Richtungsstabilität aber zugleich auch eine gewisse Behäbigkeit, wenn die kurz angesetzten Kurvensteps gefragt sind. Der Buell-Stier will bei den Hörnern genommen werden. Ein Bild, in das sich die knochig ansprechenden Federelemente nahtlos einfügen. Insgesamt ist die Buell ein überaus unterhaltsames Motorrad. Motorseitig ist sie ein echtes Erlebnis. Denn kein Hersteller bietet in dieser Klasse ein auch nur annähernd vergleichbares, mit reichlich Schwungmasse gesegnetes Langhuberlebnis. Vor allem bei Lastwechselbetrieb zieht diese altertümliche Motorkonzeption ihre Trumpfkarte. So wunderbar weich und geschmeidig wünscht man sich Gasgriffreaktionen bei den anderen Testkandidaten.«

»Käuferprofil: Längere Erfahrung mit britischen Klassik-Bikes mag für zukünftige Buell-Besitzer von Vorteil sein. Zumindest Lehrjahre auf einer SR500. ... Ansonsten gilt: Hohe Drehzahlen und konstante Last meiden. Die Buell gehört auf die Landstraße.«


Jo Soppa im MO 9/2001: Soulful V-Twins

Buell X1 Lightning gegen Voxan Roadster 1000

"Es ist wie früher in der Schule: Die Mädchen mit dem zweifelhaften Ruf waren die interessantesten. Ähnlich verhält es sich mit diesen beiden Motorrädern. Hier wartet mehr als umgängliches Geplänkel in geordneten Bahnen. Damals wie heute gilt: Diese Dinger haben das Zeug, dein Leben zu verändern."

""Hart arbeiten auf der Buell, locker genießen auf der Voxan. Echte Bekenner sind gefragt - so oder so."

"Kaufgrund Nummer sieben: Für diesen verwegen verschlungenen Auspuffkrümmer lassen wir gerne 30PS und spektakuläre Überschall-Topspeed in den Prospektblättern ruhen. Aber beim Streicheln aufpassen. Wird höllisch heiß."

"Man müsste Erik Buell ein Denkmal setzen. Zu Lebzeiten. Er hat es verdient. Er hat uns Motorräder geschenkt, die es nach den Gesetzen zeitgenössischer Marketingkultur überhaupt nicht geben dürfte. Wider sämtlicher Sitten und Gebräuche rollt er uns in Gestalt der XI den wundervollen Kontrapunkt zu allen geleckten, hergefeschten Wunderbräuten mit zehnjähriger Mobilitätsgarantie und garantiertem Testsiegerlächeln vor die zittrigen Beine. Ein ungemein ungehobelter, ungemein unverschämter Materialklotz. Dieses Motorrad stellt sich einem in den Weg, wie der aggressiv angesoffene U-Bahn-Schläger kurz nach Mitternacht. Hemmungslos, aussichtslos. Diese Begegnung wird Spuren hinterlassen."

"Einschneidende Erlebnisse, die Buell macht's auf Knopfdruck. Dann spielt sie zunächst den amoklaufenden Presslufthammer. Alles bebt, alles vibriert, Brillenträger greifen instinktiv nach ihren Augengläsern. Man möchte den Motor sofort wieder abstellen. Das kann nicht gut gehen. Nicht auf Dauer und erst recht nicht beim Fahren, wenn die Drehzahl zwangsläufig noch über Standlaufniveau hinausgehen soll. Doch, oh Wunder, mit erwachendem Eifer wandelt sich der langhubige Schläger mehr und mehr zum kultivierten Sportskerl. Ab 3500/min schnurrt der Twin für den Fahrer praktisch vibrationsfrei. Wir sind überrascht."

"90 Pferde attestierte unser Prüfstand bei exaxt 6000/min. Vergleicht man diesen Wert etwa mit den neuen Vierventil-Boxer von BMW, die nur ein Schnapsgläschen weniger Hubraum spazieren fahren, dann ist es doch sehr erstaunlich, was mit einer an sich hundsalten Motorkonzept möglich ist. Denn von der technischen Warte aus betrachtet bietet der Buell/Harley-Twin nicht mehr als gepflegten Vorkriegsstandard. Ein konservativer Langhuber mit Stoßstangenventiltrieb und je zwei Ventilen in antiquierten Brennräumen. ... Immerhin kommt eine elektronische Benzineinspritzung zum Einsatz. Die wirkt in diesem Umfeld allerdings eher wie ein Fremdkörper. Eine altgediente Unterbrecherzündung möchte man stattdessen viel lieber begrüßen, wenn möglich, mit Hebelchen zum Einstellen der Frühzündung am Lenker. ... Knopf drücken genügt, und Freund Presslufthammer tobt."

Dafür ist wenigstens das Buell-Fahren schön schwierig. Denn erstens wird die Fuhre wegen der stoisch rotierenden Giganto-Kurbelwelle beim Gaszumachen überhaupt nicht langsamer, zweitens wehrt sie sich grimmig gegen jegliches Kurvenfahren, drittens schüttelt sie sich bei schneller Fahrt über Bodenwellen angewidert um die Hochachse, und viertens stellt sie beim Bremsen wie ein bockbeiniger Mustang auf. Adrenalin, Freunde, kann ich da nur sagen. Wer sich im Leben ein wenig langweilt, sollte zur Buell greifen."

"Buell ist Entwicklungsterritorium, und das sieht man dem Motorrad an. ... Versöhnlicher möchte einen da durchaus der Gedanke stimmen, Erik Buell persönlich stünde am Montageband und würde mittels 400er Schleifpapier den rabiaten Plastikkanten zu Leibe rücken. Am Lenker würde danach ein kleines Etikett mit der Aufschrift baumeln: 'inspected and refined by Erik'. Wir würden uns das Dokument übers Bett hängen und jeden Abend glucksend vor Glück einen Tost auf unseren Motorrad-Gott in den Nachthimmel entsenden. Bis dahin bleibt es beim Antrag auf ein Buell-Denkmal, wobei soviel klar sein dürfte: In ein paar Jahren werden sich Angefressene um die ersten Buell-Maschinen prügeln wie andere um eine Shelby-Cobra oder einen frühen Morgan Plus 8."


"Buell und Voxan werfen ihre Strickleiter über die Mauer der Neuzeit. Wer hochklettert, entdeckt einen Abgrund oder sein Nirvana"

"Doch jetzt nähern wir uns verdächtig der Denkweise des durchschnittlichen Nutzwert-Bikers. Aber wir sind Exotenjunkies mit Drang nach Schüttelfrost und licht aufgerissenen, neuen Welten. Für uns bauen Leute wie Erik Buell und Voxan-Boss Jacques Gardette Motorräder. Motorräder, von denen wir heute träumen und von denen wir dereinst unseren Enkeln mit leuchtenden Augen erzählen werden. Deshalb die klare Empfehlung. Die Buell XI ist der absolut einzigartige Donnerbolzen für abgeklärte Leute mit Sinn fürs Außergewöhnliche. Nach gut 14000 Kilometern im MO-Test spuckte die gute XI ein paar Schrauben aus, verschliss eine Vorderradbremsscheibe, zerriss den Auspuffkrümmer und den Sitzbankbezug, brachte die Besatzung aber stets zuverlässig ans Ziel. Dagegen ist die Voxan der unverfängliche Exot für alle Neugierigen. Was in beiden Fällen gebraucht wird, ist ein Händler, der einem zum zweiten Wohnsitz werden kann. Ein Freund fürs Leben. Er darf auch privat Maserati fahren - Hauptsache er versteht sein Handwerk. Therapeuten waren schon immer etwas kostspieliger."


Jo Soppa im MO 2/2002: Dauertest 20.000 km

"Erik Buell, der amerikanische Motorrad-Maniak, gehört zu den getriebenen Zwangstätern der Zunft. Er nimmt einen Motor, der als hoffnungslos veraltet und wenig belastbar gilt. Sodann frisiert Buell die Oma nach allen Regeln der Kunst zum Punkgirl auf. Danach packt der Technikus den scheinbar völlig überreizten Motor in ein Fahrgesteil, das die gängige Lehre der größtmöglichen Gesamt-Steifigkeit glattweg ignoriert. Lediglich Motorblock und Hinterradschwinge bilden bei Buell eine unverrückbare Einheit. Über Gummielemente und Gelenkstangen wird sie mit dem Brückenrahmen samt daran angedockter Gabel verheiratet. Dann verpasst Buell dem Konstrukt noch eine Lenkgeometrie, die direkt aus der Grand Prix-Rennabteilung abgezapft sein könnte. Zu guter Letzt tritt das schräge Stück in einer Verpackung an die Öffentlichkeit, die mit geschwungenem Leichtmetall-Gussheck sowie kantigem Tank samt voluminösem Ansaugkasten das Betrachterauge mehr als herausfordert. Shocking! Es wundert deshalb nicht, dass die Marke in der breiten Öffentlichkeit eher ambivalente Gefühlswallungen auslöst."

"Im Standlauf lässt der 1200er-Schlegel das ganze Motorrad mit der Vehemenz eines Hydraulikpulsers erschaudern. Erst ab 200U/min beginnt die Gummientkoppelung ihre wohltuende Wirkung zu entfalten."

"Landstraßen mit der Schärfe eines Filetmessers sehr Lust bringend ausweiden. Dafür ist eine Buell gebaut. Autobahnen und Großstädte sind nicht ihr Revier."

"Extremisten kennen nur Hass oder Liebe. Oder die Buell X1."

"Extremes Konzept für Eingeweihte"

"Was bei dieser Aneinanderreihung von missliebigen Ereignissen naturgemäß nicht in Erscheinung tritt, sind die anderen Eintragungen im Fahrtenbuch. Etwa das knappe, aber umso unmissverständlichere Statement eines eingefleischten Honda CBR 600-Bändigers, der aus seinem Herzen keine Mördergrube machte und alle wissen ließ: "Hab' mich verliebt. Ich will sie!" Oder an anderer Stelle notiert ein Begeisterter: "Die Lightning macht ihrem Namen alle Ehre. Ein amerikanischer Kugelblitz mit viel Power aus dem Keller und einem sauguten Handling."

"....Sind dann noch Michelin Pilot Sport oder Metzeler ME Z3 aufgezogen, steht dem Fahrvergnügen mit Namen Buell X1 nichts mehr im Wege. Fazit: Die Buell X1 Lightning ist ebenso ungewöhnlich wie einzigartig. Wer zur Buell greift, muss Verständniss für ein Motorrad dieser durchaus gewagten Machart mitbringen. Sicher keine Maschine für den durchschnittlichen Nutzwertkäufer, dafür ein sehr interessantes Angebot für Leute, die das ganz besondere Fahrerlebnis mit einem lustvoll zubeißenden Langhubschlegel suchen und auch zu schätzen wissen."